Muskelaufbau

Es gibt sie auf zwei und auf vier Beinen: Sportler. In unserem Fall, dem Reitsport, sollte beides vereint sein. Ein zweibeiniger Sportler zusammen im Team mit seinem vierbeinigen Partner. Obwohl jeder in seinen anatomischen Anlagen ähnlich startet, entwickelt sich durch gezieltes Training das äußere Erscheinungsbild, insbesondere durch Muskelaufbau, in unterschiedliche Richtungen.

Das Dressurpferd ist eher der Bodybuilder, wirkt massig und kompakt, im Optimalfall besonders in der Hinterhand. Hingegen sieht ein Distanz- oder Rennpferd eher drahtig aus ähnlich einem Marathonläufer. Diese völlig unterschiedlichen Erscheinungsbilder entstehen durch unterschiedlich stark austrainierte Muskelgruppen. Nur dadurch erreicht der Reiter Sprungkraft für ein Springpferd, Schnellkraft für den Galopper oder Feinmotorik für ein Dressurpferd.

„Reite zu deiner Freude“ sagt Ingrid Klimke und reite auch zur Gesunderhaltung deines Pferdes. Besonders für Springreiter ist das Dressurreiten oft ein ungeliebtes „MUSS“. Dass aber nur durch eine systematische Dressurarbeit das Pferd gesund erhalten werden und erfolgreich sein kann, wird leider oft vergessen. Über die Hälfte des Körpergewichts unserer Pferde wird von der Vorhand getragen. Ziel des Dressurreitens ist es, das Gewicht vermehrt auf die Hinterhand zu bringen und so Muskelverspannungen, Ungleichgewichten oder gar Überlastungssymptomen vorzubeugen. Um Training sinnvoll, abwechslungsreich und erfolgreich aufzubauen, ist es nötig, den anatomischen Aufbau und das Zusammenspiel bestimmter Muskelketten am Pferd verstanden zu haben. Hierfür ist es nicht von Bedeutung, irgendwo Fachbegriffe nachzulesen, sondern ganz einfach die Zusammenhänge zu verstehen. Wie ermögliche ich es meinem Pferd, den Reiter tragen zu können? In welcher Haltung kann es das am schonendsten? Was fällt meinem Pferd leicht und was schwer und inwiefern hat das mit seinem individuellen Körperbau zu tun?

Wenn dem Reiter klar ist, dass Sehnen immer zu einem Muskel gehören, ist ihm vielleicht auch klar, dass er durch eine verantwortungsvolle und sinnvoll aufgebaute Reiterei Sehnenschäden vorbeugen kann.

Der Körper ist ein Gesamtkunstwerk. Jedes Zahnrad bewegt ein anderes. Hierüber muss auch Energie für den Muskel bereitgestellt und Abfallprodukte wieder abtransportiert werden. Nur so bleibt das muskuläre System im Gleichgewicht und Probleme wie Übersäuerung, Muskelkater oder Kreuzverschlag kommen nicht zum Tragen. Verhakt sich eines dieser Zahnräder, besteht die Gefahr von Sehnen-Muskelverletzung oder Gelenkverschleiß. An einer Bewegung sind immer mehr als ein Muskel beteiligt, der Agonist (= Muskel, der eine Bewegung bewirkt) und der Antagonist (= Gegenspieler) . Die Antagonisten verhindern übermäßige Bewegung des Agonisten in eine Richtung und somit die Überbeanspruchung einzelner Strukturen. Daher gilt es immer beide Seiten zu trainieren, um hier ein funktionierendes Zusammenspiel zu ermöglichen. Und nur wenn dies möglich ist, hat das Gefäßsystem des Pferdes die Möglichkeit adäquat zu arbeiten, Botenstoffe und Nährstoffe weiterzutransportieren, Schadstoffe zu entsorgen und somit „das System Pferd“ gesund und leistungsfähig zu erhalten.

Ein abwechslungsreiches Training ist das A und O. Konzentrische (verkürzende) und exzentrische (kontrolliert nachlassende) Muskelarbeit sollten sich abwechseln, um sämtlichen Muskelketten in ihrem Zusammenspiel gerecht zu werden und um das Pferd auch im Kopf bei der Sache zu halten. Denn auch die Psyche spielt eine wesentliche Rolle, um einen sicheren Trainingserfolg zu erzielen. Zum Beispiel sollte sich Versammelnde-Arbeit mit dem Reiten-in-Dehnungshaltung abwechseln. Die Phasen der Versammlung können langsam gesteigert werden, sobald das Pferd so weit ist. Doch sollte das Reiten in Dehnungshaltung zwischen der versammelten Arbeit auch in einem hohen Ausbildungsstand immer wieder erfolgen, um einer einseitig ausgebildeten Muskulatur keine Chance zu geben und das funktionierende Zusammenspiel von Agonist und Antagonist nicht zu stören.

Jede Reiteinheit sollte mit der Lösungsphase beginnen: zur Vorbereitung und Erwärmung von Pferd und Reiter. Erst hierdurch kann der „Muskelkreislauf“ die benötigten Nährstoffe zur Verfügung stellen. In der darauffolgenden Arbeitsphase folgt das Erlernen neuer Dinge und das Wiederholen von Bekanntem. Die abschliessende Erholungsphase sollte das klassische „cool down“ beeinhalten, um Muskelkater und Übersäuerung vorzubeugen.

Das Stichwort der Superkompensation ist leider etwas, das im Reitsport gerne vernachlässigt wird – besonders im Freizeitbereich. Nach einem Trainingsreiz erreicht der Körper nicht nur das ursprüngliche Leistungsniveau, sondern erhöht dieses im Verlauf der Regeneration. Wird das neue Niveau für die nächste Einheit genutzt, kommt es zu einer Leistungssteigerung, erfolgt der Trainingsreiz zu früh, erzielt man ein Übertraining und das Leistungsniveau sinkt. Für ein erfolgreiches Training ist die abwechslungsreiche Gestaltung daher wesentlich, ebenso Art, Dauer, Dichte und Intensität sowie die Dauer und Gestaltung der Regenerationsphase.

Bestimmte Futterzusätze können helfen, den Muskel wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu bringen und verhindern so Verkrampfungen- anders als oft versprochen- ersetzen sie aber nicht gutes durchdachtes Reiten.

Gutes Heu und Kraftfutter mit essentiellen Aminosäuren sind unumgänglich und kein Pülverchen und kein pelletiertes Zusatzfutter kann dies ersetzen.

Kein Reiter wird daran vorbeikommen, an sich und seiner Reitweise zu arbeiten: ein Reiterleben lang.

Stefanie Brandenburger – NoLeaf Expert

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